Auch im Bereich E-Learning kann und sollte auf Barrierefreiheit geachtet werden. Die gut reflektierte und feinfühlige Umsetzung steht im Mittelpunkt – doch welche Herausforderungen stehen dem im Weg?
„Eine inklusive Gesellschaft, in der alle Menschen ein selbst bestimmtes Leben führen, ist unser Ziel – in Deutschland und Europa.“
– Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Deutschland
Um eine inklusive Gesellschaft zu fördern, wurde 2021 das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz: BFSG) verkündet. Dieses Gesetz regelt die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe an Produkten und Dienstleistungen – besonders für Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen sowie älteren Menschen.
Ziel des BFSG ist es, die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, kurz EAA) zu realisieren. Die Mitgliedstaaten sind durch die Empfehlung auf EU-Ebene dazu angehalten, ihre Gesetzgebungen aufeinander abzustimmen. Auch kleine und mittlere Unternehmen sollen so auf konkrete, einheitliche EU-Richtlinien zurückgreifen können und im europäischen Binnenmarkt konkurrenzfähig bleiben, während sie Inklusion gewährleisten.
Wie beeinflussen BSFG und EAA die E-Learning Branche?
Der European Accessibility Act legt die technischen Anforderungen für die Barrierefreiheit für Produkte und Dienstleistungen fest. Die konkreten Anforderungen für Barrierefreiheit sind innerhalb der EU-Mitgliedstaaten dennoch so divers wie ihre Landsleute und stiften zum aktuellen Zeitpunkt oft eher Chaos als dass sie Abhilfe schaffen.
Ziel sollte daher sein, klare und einheitliche Standards zu schaffen, die den Binnenmarkt stärken und zu einer größeren Verfügbarkeit von preisgünstigen barrierefreien Produkten und Dienstleistungen führen. Gleichzeitig würde damit auch eine höhere Konkurrenzfähigkeit deutscher Produkte einhergehen.
Genauso wichtig wie die Schaffung von Standards ist aber auch die Einhaltung und wirksame Kontrolle von Standards. Die Bundesländer stellen dies im Zuge der sogenannten Marktüberwachung sicher. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)unterstützt sie dabei, indem sie die Koordinierung zwischen den Bundesländern sowie die Kommunikation mit der europäischen Kommission und anderen EU-Mitgliedstaaten übernimmt. Wer sich als Verbraucherin oder Verbraucher dennoch in seinen Rechten verletzt sieht, steht nicht allein, sondern kann sich in der Durchsetzung der eigenen Rechte von der BAuA oder durch einen Verband unterstützen lassen.
Herausforderungen für E-Learnings in Konzeption, Grafik/Design und Technik
Die diversen Kriterien an Barrierefreiheit auf EU-Level sorgt auch für unterschiedliche Lösungsansätze auf Bundesebene – und genau da zeigt sich bereits der größte Stolperstein, denn es gibt (noch) keine universelle Lösung für alle Trainings. Je nach Zielgruppe empfiehlt es sich daher, die Bedürfnisse und Anforderungen an das Training individuell zu beurteilen.
Als „barrierefreiste“ Lösung mit dem geringsten Aufwand könnte man eine PDF-Datei mit den Fachinhalten anbieten, die über einen Screenreader vorgelesen werden kann. Das ist dann leider aber weder interaktiv noch besonders motivierend.
Um trotzdem bei spannenden WBTs eine grundlegende Barrierearmut gewährleisten zu können, haben wir Basiskriterien herausgefiltert, die jedes barrierearme Training bei uns erfüllen muss. Diese Kriterien sehen wir als Grundbaustein, auf dem wir aufbauen können, um dann bei Bedarf aus barrierearmen Elementen zielgerichtet auch Barrierefreiheit machen zu können.
Bei der Umsetzung richtet sich der Fokus daher auf 3 Dimensionen: Konzeption, Grafik/Design und Technik.
Bei der Konzeption geht es im Allgemeinen um die Einhaltung der Regeln zur gendergerechten Sprache, die Berücksichtigung von Diversität und Produktneutralität.
Im Konkreten bedeutet das, dass alle Interaktionsformen so formuliert sein müssen, dass sie für Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen leicht verständlich sind. So wird beispielsweise aus „Klicken Sie auf…“ ein neutraleres „Wählen Sie an…“. Als Folge dessen sollten auch Feedbacktexte inhaltlich eindeutig formuliert werden– kein „Sehen Sie sich die Lösung an“, sondern ein „Die richtige Lösung lautet…“.Drag & Drop-Aufgaben sowie Mouse-Overs entfallen komplett, da sie eine mausfreie Bedienung deutlich erschweren würden. Weitere visuelle Veränderungen auf der sogenannten Bühne dürfen nicht rein zeitgesteuert sein, denn User müssen die Möglichkeit haben, alles im eigenen Tempo wahrzunehmen. Bildschirminhalte werden also nicht im Verlauf einer Seite gelöscht und müssen manuell fortgesetzt werden. Über den Einsatz eines Screenreaders können zudem Textinhalte in sinnvoller Reihenfolge vorgelesen werden. Bei der Konzeption ist hier wichtig, die Reihenfolge zu definieren, in der der Screenreader die Seiteninhalte vorliest. Auch das Hinterlegen von Alternativtexten (Alt-Texte) für Grafiken /Fotos, Links und Funktionselementen ist Teil konzeptioneller Aufgaben. So müssen insbesondere Bildinhalte aussagekräftig beschrieben werden, sofern sie für das Verständnis der Inhalte wichtig sind. Beim Einsatz von Video- und Audioinhalten muss ein Transkript der Audiospur, ein barrierefreies PDF, Audiountertitel und ggf. eine Audiodeskription erstellt werden, sofern auch hier die Videoinhalte für das Verständnis des Videos wichtig sind.
Konzeptionell sollte außerdem auf einen einfachen und gut strukturierten Seitenaufbau, leicht verständliche Sätze auch für Nicht-Muttersprachler und eine aussagekräftige Gliederung und Benennung geachtet werden.
Auf Ebene der Grafik und des Designs muss darauf geachtet werden, dass alle Funktionselemente wie Buttons und Links verständlich benannt werden. Bei einer Tastaturbedienung muss der Zustand „Fokus“ optisch erkennbar sein. Bezüglich der Verwendung von Farben und Kontrasten sollten sowohl Wahrnehmungsschwächen, wie bspw. eine rot / grün Schwäche, berücksichtigt werden, sodass die Inhalte unabhängig von Farben erschließbar sind, als auch gute Kontraste bei grafischen Elementen eingesetzt werden. Auf Schrift in Grafiken sollte nach Möglichkeit verzichtet werden. Außerdem sollte bei der Erstellung des Layouts eine variable Schriftgröße berücksichtigt werden.
Zu guter Letzt müssen auf der technischen Ebene die Seiten responsiv gestaltet werden und Textabstände anpassbar sein. Audios und grafische Elemente sollten nicht automatisch abgespielt bzw. eingeblendet werden, sondern von den Lernenden aktiv anwählbar sein. Zudem müssen für alle Inhalte barrierefreie PDF-Dokumente generiert sowie der Zugang zu einem Glossar barrierefrei gestaltet werden.
Es steht außer Frage, dass barrierefreie E-Learnings in der Produktion deutlich aufwendiger und damit teurer sind. Jedoch müssen wir in erster Linie an die denken, die davon profitieren. Und zwar sind das zum Teil sehr gut ausgebildete Menschen, die trotz ihrer Einschränkungen die vielfältigsten Potenziale und Kompetenzen mitbringen, die wir auf herkömmlichen Lernwegen nicht oder nicht in gleichem Maße (weiter-)entwickeln könnten, wie wir das über E-Learnings mit den besten barrierefreien Standards tun könnten. Wer dann aber letztendlich am meisten davon profitiert, ist die Arbeitswelt mit ihrem derzeit hohen Fachkräftemangel.